Wir haben ein Kommunikationsproblem, sagen viele Paare beim Vorgespräch, wir verstehen uns einfach nicht mehr.
Das ist auch tatsächlich so. Man versteht zwar die Worte, aber häufig nicht die Absicht, mit der sie gesagt worden sind. Man fühlt sich angegriffen und geht in eine innerliche Verteidigungshaltung.

Warum ist das so?
Vorbehalte entstehen über die Zeit

Kleine und manchmal auch größere Enttäuschungen erfährt man mit dem Partner oder der Partnerin und wenn sie nicht geklärt werden, zieht man Schlussfolgerungen daraus.
Hier ein Beispiel dafür: Lena und Ole sind erst ein paar Monate zusammen und Lena ist mit ihrer Freundin verabredet und sagte zu Ole: „Ich melde mich heute Abend noch bei dir!“ Dann hat sie sich mit ihrer Freundin verquatscht und es wurde sehr spät, so dass sie sich nicht mehr meldete.
Ole war verunsichert und enttäuscht und ein Frage fing an ihn zu beschäftigen: Wie wichtig bin ich Lena eigentlich? Sie hatten dann aber auch wieder eine sehr schöne Zeit und er vergaß die Frage auch wieder. Bis ein paar Wochen später wieder eine enttäuschende Situation für Ole entstand. Lena sagte ihm „Ich wollte mit meinen Freunden in Skiurlaub fahren. Es macht dir ja sicherlich nichts aus, dass mein Ex mit dabei ist.“
Jetzt war Ole wieder verunsichert und dachte darüber nach, wie wichtig er denn eigentlich für Lena war oder ob der Ex noch irgendeine Rolle in ihrem Leben spielt. Wenn sie jetzt von ihm sprach reagierte er genervt oder lies auch manchmal den Kommentar los, „dann mach das doch mit deinem Ex, wenn es dir nicht passt“.

Ein Filter, wie man zu hört, ist entstanden

Für Ole ist mit weiteren enttäuschenden Erfahrungen folgende Schlussfolgerung in bestimmten Situation entstanden: Dann kann ich ja nicht so wichtig sein. Er reagiert genervt und aggressiv in Situationen, in denen das Muster angesprochen wird.
Lena war schon immer ein unpünktlicher Mensch, es hat nichts mit Ole zu tun.
Es fällt ihr einfach schwer pünktlich zu sein.
Ole nimmt das allerdings in der Zwischenzeit persönlich. Wenn sie mal wieder 15 Minuten zu spät kommt, reagiert er beleidigt und öffnet die Tür mit dem Kommentar, „schön, dass du auch mal kommst!“.
Lena weiß nicht, was mit Ole los ist und zieht sich immer mehr zurück. Statt ihn herzlich zu begrüßen und ihm einen innigen Kuss zu geben, sagt sie ein paar Entschuldigungen.
Lena fühlt sich durch die abweisende Art von Ole zurück gewiesen. Sie denkt immer häufiger: So wie ich bin, bin ich wohl nicht in Ordnung für Ole. So ist auch bei ihr eine Überzeugung entstanden, wie sie sich Oles Verhalten erklärt.
Ihre Art darauf zu reagieren, ist nicht vorwurfsvoll, sondern durch Rückzug. Bei Ole ruft das noch mehr Verunsicherung und Enttäuschung hervor.
Diese Überzeugungen führen dazu, dass man zu der Schlussfolgerung kommt: „Wir Verstehen uns nicht mehr“.

Jeder erzählt sich seine eigene Geschichte

Jeder erklärt sich selbst, warum der andere sich so verhält in bestimmten Situationen, aber ob es tatsächlich so gemeint ist, ist eine andere Sache.
Dadurch entsteht das Kommunikationsproblem:
So wie der Sender es gemeint hat, kommt es beim Empfänger nicht an. Der Empfänger hat seine eigene Erklärung dafür, warum der andere sich so verhalten hat.
Das eigentliche Problem daran ist allerdings, dass man keine Frage darüber hat, ob die eigene Erklärung stimmt.
Es ist tatsächlich so, dass man nicht denkt, ach das ist das, was ich darüber denke, sondern dass ist ein Fakt.
Wenn Lena zu spät zu Ole kommt, denkt er: Wenn ich wichtig für sie wäre, würde sie so schnell wie möglich zu mir kommen wollen. Sie wäre pünktlich, also kann ich nicht zu wichtig sein.
Das sind allerdings Gedanken, die auf einer unbewußten Ebene sich abspielen. Ole reagiert hier nach dem entstandenen Muster genervt und vorwurfsvoll.

Wie kann man sich wieder verstehen?

Das ist die Absicht des Paarcoachings: Sich bewusst zu machen, was sind meine Schlussfolgerungen und Überzeugungen und diese im Gespräch mit dem anderen zu überprüfen.
Ole konnte dann erzählen, wie es für ihn war, als Lena ihn über den Skiurlaub informierte. Dass ihr Ex-Freund mitfahren würde und dass er sich seit dem immer wieder fragte, wie wichtig er eigentlich für sie ist.
Lena konnte verstehen, dass die Situation verletzend für Ole war. Sie hatte das so gesagt, weil sie unbedingt mit in den Skiurlaub wollte. Sie hatte das so formuliert, um eventuelle Einwände von Ole zu verhindern.
Besser wäre gewesen, wenn sie formuliert hätte: Ich möchte super gerne mit meinen Freunden in Skiurlaub fahren, nur mein Ex-Freund fährt auch mit. Meinst du, das ist o.k. für dich? Vielleicht willst du ja auch mitfahren, dann lernst du viele meiner Freunde richtig kennen?
Sie konnte ihm nun  sagen, dass es ihr leid tat. Außerdem sagte sie ihm, dass das zu spät kommen einfach eine schlechte Angewohnheit von ihr ist und kein Ausdruck davon, dass sie nicht gerne Zeit mit ihm verbringt.
Auch Lena konnte dann Ole erzählen, wie es für sie ist, wenn sie immer wieder die Vorwürfe hört.  Dass sie sich in der Zwischenzeit schon etwas innerlich zurück gezogen hatte und dachte, dass sie so wie sie ist, nicht in Ordnung für Ole ist.
Ole war betroffen das zu hören und versicherte ihr, dass er sie sehr liebt und sie nun besser verstehen kann.
Beide lieben sich und wollen weiter zusammen bleiben, so dass eine große Bereitschaft besteht das Vergangene zu verzeihen und sich wieder neu zu begegnen.

Vorbehaltlos dem Partner/ der Partnerin wieder begegnen

Manchmal ist es so einfach wie hier beschrieben. Es gibt aber auch viele Paare, die leben schon lange mit ihren Schlussfolgerungen und Überzeugungen. Es ist dann sehr viel schwerer für sie diese loszulassen und der Klärungsprozess dauert länger.
Aber nur wenn man bereit ist wieder offen Situationen zu begegnen, kann man eine neue Erfahrung machen.

Wie kann man verhindern, dass man wieder in alte Verhaltensweisen zurück fällt?

Es geht jetzt für Lena und Ole darum, in typischen Situationen nicht in das automatische Verhaltensmuster zu fallen, sondern wach zu sein. Selbst zu überprüfen, ob das was man denkt, denn auch tatsächlich stimmt.
Für Ole heißt das in Situationen, in denen er sich zurück gesetzt fühlt, zu überprüfen, ob das so auch von Lena gemeint ist.
Sie kam natürlich irgendwann mal wieder zu spät. Ole fing an sich schon wieder zu ärgern und zu denken: „Na dann kann ich ja wohl nicht so wichtig sein“.
Jetzt erkannte er aber die Gedanken!
Er erinnerte sich daran, dass Lena sagte, dass sie leider diese Angewohnheit schon vor ihm hatte und es ihr schwer fiel diese abzulegen.
Als sie durch die Tür kam, begrüßte er sie herzlich. Danach erzählte er ihr, dass er erst den Gedanken wieder hatte, aber dann wieder losgelassen hat. Sie war sehr dankbar und versicherte ihm nochmal, dass es nichts mit ihm zu tun habe. Dass sie sich das zu spät kommen wirklich abgewöhnen will, weil sie verstehen kann, dass das keine schöne Situation für ihn ist.

 

Um das Muster zu beenden, ist es also wichtig:

  • Wach über die eigenen Gedanken zu sein, was durch die Gespräche darüber sich einstellt.
  • Anstatt auf die alten, negativen Gefühle zu reagieren, zu wählen, wie will ich jetzt damit umgehen.
  • Über Gefühle und Gedanken im Gespräch sein, beschreiben, wie es einem ergangen ist, ohne Vorwurf
  • Eventuell Absichten für die Zukunft formulieren

 

Und jetzt geht es darum, sich selbst und dem anderen zu vertrauen.
Sich immer wieder auf zukünftige Situationen einzulassen und gemeinsame Wege zu finden.

Kerstin Girnus, Praxis für Paarberatung und Eheberatung in Bielefeld, 07.01.2023